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Informatik erLeben!
Motivation und didaktisches Konzept

Motivation
„Informatik erLeben“ will Jugendlichen anhand exemplarischer Informatikthemen zeigen, dass Technik an sich und Informatik im Besonderen Gebiete sind, bei denen sich Nachdenken lohnt. Dieses Nachdenken führt zu einer verbesserten Situation, wobei die Verbesserung mit geringerem Zeitaufwand, verbessertem Wirkungsgrad aber auch Milderung von kritikwürdigen Nebenaspekten verbunden sein kann. Weiters soll Informatik, eigentlich ein Fach, das von Insidern eher mit Abstraktion, von Nutzern oft nur als Computer-Anwendung verstanden wird, exemplarisch erlebt werden. Dies bedeutet, dass losgelöst von Computer und Abstraktion, Jugendliche in die Rolle von Daten oder auch von Bauteilen oder Programmteilen schlüpfen und so in spielerischer Form einerseits erkennen, wie Abläufe in Rechnern tatsächlich stattfinden, anderseits aber auch erkennen, dass hinter diesen Abläufen allgemeinere Prinzipien liegen, die auch jenseits der Computerei sinnvoll angewandt werden können.

Dabei soll berücksichtigt werden, dass Informatik ein technisches Fach ist. Die hier vorgestellten Unterrichtseinheiten wollen daher insofern als exemplarische Einheiten für ein technisches Fach verstanden werden, als Schülerinnen und Schülern in altersgemäßer Form gezeigt wird, dass technische Entwicklungen in der Regel nicht aus spontanen Eingebungen entstehen, sondern dass sie vielmehr aus Beobachtung von Abläufen und dem Wunsch diese zu verbessern resultieren. Verbessern bedeutet aber vergleichen und vergleichen bedingt bewerten. Es geht also nicht darum, bestimmte Sachverhalte oder Algorithmen vorzuzeigen und als einzelne Phänomene erlernen zu lassen. Es geht darum, Verständnis zu schaffen und Neugierde zu wecken. Wenn etwas gelernt werden soll, dann der Aspekt des Beobachtens. Doch diesbezüglich sind Kinder meist ohnehin sehr geschickt und oft geschickter als Erwachsene. Wesentlich ist auch, dass die Beobachtungen ausgetauscht und diskutiert werden: „Wird das, was Du eben beobachtet hast, immer in dieser Form beobachtbar sein?“ „Was müsste sich ändern, damit Deine Beobachtung zu einem anderen Ergebnis kommt?“ Kinder und Jugendliche erkennen daraus, dass sie in einer formbaren Welt leben, in der sich Situationen nicht stereotyp wiederholen, die sie andererseits durch ihr Verhalten aber auch beeinflussen können. Durch die Frage: „Wie könnte man das eben durchgespielte Beispiel variieren, damit sich am Ergebnis etwas ändert?“ oder: „Wie weit könnte man es variieren, ohne dass sich am Ergebnis Wesentliches ändert?“ wird einerseits Neugierde, anderseits Kreativität stimuliert. Überlegungen dieser Art sind Kernüberlegungen, die hinter jeder technischen Entwicklung stehen. Sie anhand von Informatik-Beispielen zu diskutieren bietet sich insofern an, als wir die dort angewandten Verfahren mit wenig Material leicht durchspielen können. Die spielenden Akteure sind dabei die Jugendlichen selbst.

„Informatik erLeben“ ist als Intervention in den Informatikunterricht gedacht, der Kindern und Jugendlichen schwerpunktmäßig Fertigkeiten vermittelt. Hier geht es nicht um die Vermittlung von Fertigkeiten sondern um die Vermittlung von tiefer liegendem Verständnis. Dies mag helfen, dass die Fertigkeiten, die sonst noch vermittelt werden wollen, auf einem tieferen Verständnis aufbauen können. Deshalb stellt dieses Konzept auch eine relativ breite Palette von Lehreinheiten vor, damit Lehrkräfte auswählen können, welche Einheit wann am besten als Ergänzung zu ihrem normalen Unterricht passt. Die einzelnen Einheiten werden im Kapitel Ein Blick auf die informatische erLebens-Landschaft näher vorgestellt, wobei die dort präsentierte Matrix einer Gliederung nach fachlichen Themengebieten sowie nach Reifestufen der Klasse vorsieht. Reifestufe kann weitestgehend mit Altersstufe gleichgesetzt werden. Doch zeigte sich in den Probeläufen, dass Altersstufe bzw. Schulstufe nur ein Indikator sind. Je nach Zusammensetzung der Klasse kann manchmal etwas höher gegriffen werden, manchmal ist es aber sinnvoll, nicht den gesamten intellektuellen Reiz einer Einheit in Einem erarbeiten zu lassen. Diesbezüglich kennen die Klassenlehrkräfte die ihnen Anvertrauten ohnehin gut genug, um zu entscheiden. Generell stellten wir jedoch fest, dass man in der hier vorgestellten spielerischen Form inhaltlich durchaus recht weit gehen kann; jedenfalls weiter, als mit einem auf abstrakten Konzepten aufbauenden Unterricht der hier präsentierten Inhalte.

Wichtig ist uns allerdings, dass diese Einheiten nicht als Drill gesehen werden dürfen. Wir wollen damit auch sicherlich keinen neuen Prüfungsstoff schaffen – selbst wenn zum Abschluss der Einheiten einige Fragen vorgeschlagen sind, die zu weiterem Nachdenken anregen sollen und zur Vertiefung des Übungsziels dienen. Es geht darum, Technik, speziell Informationstechnik, sichtbar zu machen und erleben zu lassen. Zu diesem Erleben gehört auch das kontrastierende Erleben. Technik ist nicht das Anwenden irgendwelcher Geräte oder Algorithmen. Technik ist Entwurf (und in weiterer Folge Umsetzung dieses Entwurfs). Entwurf ist allerdings nicht das Aufzeichnen einer singulären genialen Idee. Entwurf ist das Erarbeiten alternativer Ideen und Bewertung dieser unter Berücksichtigung einer Vielfalt von Entwurfszielen. Dies zu zeigen bzw. erkennen zu lassen, ist ein wesentliches Ziel der hier vorgestellten Einheiten. Insbesondere haben wir zwei sehr unterschiedliche Aspekte im Blickpunkt:
  • Einerseits soll Jugendlichen gezeigt werden, dass die Technik, mit der wir heute leben, nicht die einzig mögliche ist, sondern dass diese aus einer Kombination von Kreativität und Bewertung an Hand von ökonomischen wie sozialen Zielen, entstanden ist.

  • Andererseits soll Jugendlichen gezeigt werden, dass Bewertung eigentlich stets als Filter vor die Umsetzung einer auch noch so tollen Idee gestellt werden sollte. Bewertung ist allerdings keine eindimensionale Angelegenheit. Bewertung setzt Ziele voraus und diese liegen nicht immer klar sichtbar vor jenen, die fair urteilen wollen. Man muss in unterschiedliche Rollen schlüpfen, um ein hinreichend breites und damit auch halbwegs faires Ziel-Spektrum zu sehen.
Das im zweiten Punkt angesprochene Rollenspiel wird im Kernbereich der Einheiten auf technischer Ebene geübt. Es auf soziale Ebene zu übertragen, erfordert entsprechende Intervention der Lehrkraft. Dies scheint uns im Gesamtkontext dieser Einheiten wichtig, geht es doch primär um Horizonterweiterung der Schülerinnen und Schüler. Technik hat somit sehr viel mit experimenteller Erprobung, Beobachtung und fairer Bewertung zu tun. Daher sehen die folgenden Unterrichtsvorschläge auch stets zwei Rollen vor:
  • Jene der Akteure in der Experimentalgruppe. Sie vollziehen in spielerischer Art Abläufe, die dem Wissensstock der Informatik entnommen sind. Die Akteure dieser Abläufe sind Schülerinnen und Schüler die auf diese Art Informatik aktiv erleben.

  • Beobachter, die entweder einzeln oder in einer Beobachtergruppe kooperativ Randbedingungen und Ergebnisse des Verhaltens der Experimentalgruppe beobachten und somit Informatik aus der Beobachtung physischer Abläufe erleben.
Da es ein Prinzip der Unterrichtseinheiten ist, dass Variationen stattfinden, um mit unterschiedlichen Verfahren auch zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen, empfiehlt es sich, bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen einen Wechsel von Akteursrolle und Beobachterrolle vornehmen zu lassen.

Ein wesentliches Element, das den hier vorgestellten Ausarbeitungen zu Grunde liegt, ist auch, dass ein Angebot für sehr junge Menschen im (fortgeschrittenen) Volksschulalter gemacht wird. Dieses Angebot setzt sich allerdings über alle weiteren Schulstufen bis zum Maturaniveau fort. Ob man hierbei die im Überblickskapitel über die angebotenen Inhalte vorgestellten didaktischen Pfade wählt, oder frei kombiniert, liegt im Entscheidungsspielraum der Klassenlehrkraft. Wir wären bloß sehr dankbar, wenn das hier vorgestellte Konzept eines entscheidungsorientierten, personenanimierten Informatik- bzw. Technikunterrichts auf unterschiedlichen Schulstufen Umsetzung findet. Kindern und Jugendlichen soll klar werden, dass etwa ein Informatikstudium nicht darin besteht, dass man zu den bereits erlernten Anwendungskenntnissen noch 1000 weitere Tricks lernt, wie ja auch ein Maschinenbau-Studium kein Training für künftige Autorennfahrer ist, sondern es geht darum Anwendungen zu bauen und dies ist einerseits eine machbare, andererseits aber eine intellektuell herausfordernde Aufgabe, bei der der Computer eigentlich nur als Instrument im Hintergrund steht. Im Vordergrund stehen bei guter Anwendungssystementwicklung die Menschen, für die diese Anwendung Nutzen bringen soll.

Allerdings wird das Bild das hier vermittelt werden soll stets ein kontrastierendes Bild sein. Wir sollen und wollen keine primitive Technikwerbung betreiben. Wir wollen vielmehr dafür sorgen, dass Jugendliche erkennen, dass durch Nachdenken aus einer bestimmten Lösung meist eine noch bessere Lösung entstehen kann. Dies bedeutet, dass die meisten im Rahmen dieser Serie vorgestellten Anregungen (Einheiten) aus mindestens zwei unterschiedlichen Animations- oder Übungseinheiten (Modulen) bestehen. Es ist dabei wesentlich, dass beide (oder mindestens zwei) solcher Module ausgeführt werden, damit in einer gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeiteten Analyse Vor- und Nachteile, Leistungsfähigkeiten und Grenzen unterschiedlicher Verfahren erkannt werden. Schließlich will die Schule ja Kinder zu kritischen und beurteilungsfähigen jungen Staatsbürgern erziehen.

Mitunter wird Technik auch als „kalte Technik“ kritisiert. Die gibt es. Doch es liegt an uns und an der jeweiligen Generation, die Technik einsetzt, ob es sich um „kalte Technik“ oder um „menschliche Technik“ handelt. Hier hat Informatik vielleicht einen speziellen Vorteil. Ein zentrales Element der Informatik liegt ja in der Entwicklung von allgemeinen, mathematisch oder formal beschreibbaren Problemlösungsverfahren. Dass das Instrument, mit dem diese Verfahren ausgeführt werden, eine Maschine, landläufig ein Computer, ist, stimmt nur bedingt. In der Regel laufen Verfahren nicht vollautomatisch ab. Daher sind Menschen in die Ausführung des Verfahrens integriert. Die Rollen dieser Menschen und die von ihnen durchzuführenden Aktivitäten müssen beschrieben werden. Sinnvollerweise wird man diese Aktivitäten so gestalten, dass sie den Ausführenden Freiheitsgrade bieten, in denen sie ihre menschliche Kreativität sinnvoll einbringen können. Dies bedeutet, die Freiheitsgrade menschlicher Akteure sind sinnvoll zu nutzen. Das Kapitel Vom Faustkeil zum PC will Anregungen geben, die Wechselwirkung von Technik und Gesellschaft im Allgemeinen und Informatik und Gesellschaft im Besonderen mit Jugendlichen zu diskutieren.

Um zu zeigen, dass sich Verfahrensanweisungen (Programme) nicht nur an Maschinen wenden, und um auf die Fähigkeiten des Menschen, Muster zu erkennen und umzusetzen zu reagieren, fokussieren die Experimentaleinheiten in der Regel nicht auf Computer-Programmierung. Vielmehr sollen Gruppen von Schülerinnen und Schülern so in einen algorithmischen Vorgang eingebunden werden, dass die Jugendlichen den Unterschied zwischen einem allgemeinen algorithmischen Verfahren, das auf mehrere unterschiedliche Situationen anwendbar ist, und einem Computerprogramm, dessen Instruktionen sich unmittelbar an die Maschine wenden, erkennen. Die Einheiten sind jedoch nicht in sich abgeschlossen. Die Lehrkraft wird sie so auswählen, dass sie als punktuelle Intervention den Jugendlichen zeigt, dass Informatik nicht nur mit dem Computer zu tun hat. Nach diesen „Computer unplugged“-Einheiten [1] spricht natürlich auch nichts dagegen, Algorithmen niederschreiben zu lassen, diese Aufzeichnungen in eine formale Notation und letztlich in die Form eines Programms zu bringen und dann im Computersaal ausführen zu lassen. Doch letzteres ist lediglich eine Option und nicht primäres Ziel der Einheiten.

Aus dem hier verfolgten Ansatz des entdeckenden Lernens ist auch klar, dass sich die Rolle der Lehrkraft hierbei auf die Rolle einer unterstützenden Moderatorin bzw. eines Moderators beschränkt. Sie gibt die Spielregeln vor und beobachtet, dass diese eingehalten werden. Sie beobachtet die Abläufe in der Experimentalgruppe und verifiziert die Berichte der Beobachtergruppe. In letzterer Rolle ist sie vielleicht mit einem Oberschiedsrichter vergleichbar, der selbst nie in das Spiel eingreift, jedoch nach Ende des Spiels das Ergebnis bestätigt oder (in manchen Sportarten ist das ja möglich) die Entscheidung der Schiedsrichter (Beobachter) hinterfragt und notfalls begründet revidiert.

Neben all den erwähnten Kriterien haben wir uns auch bemüht insbesondere bei jenen Einheiten, die sich an die jüngste Kategorie der Zielgruppe wendet, spielerische Elemente so einzubauen, dass wenigstens Teile der Einheit auch auf einer Geburtstagsfeier oder an einem Schikursabend als Spiel nachgespielt werden können. Dieses Ziel ließ sich freilich nicht bei allen Einheiten der Ausgangsstufe realisieren. Solche „Informatikspiele“ erhöhen jedoch sicherlich die Motivation, die Abläufe ernst zu nehmen. Bei fortgeschritteneren Einheiten tritt an Stelle des Spiels die Neugierde, die durch entsprechende Einleitungen noch verstärkt werden sollte.

Im Folgenden wird eine kurze Reflexion über die Verschränkung der Entwicklung von Technik und Gesellschaft und darauf aufbauend die Rolle der Informatik behandelt. Dieses Kapitel ist als Anregung für Diskussionen mit der Klasse gedacht um insbesondere jenen Schülerinnen und Schülern, die eher skeptisch gegenüber Technik und Informatik eingestellt sind, zu zeigen, dass sie ihre Skepsis nicht durch Ignoranz absichern sollten. Kopf-in-den-Sand-stekken hilft nicht, wenn man gegen etwas ist. Man muss die Gefahr verstehen, wenn man ihr aktiv begegnen will.

An dieses Kapitel schließt sich ein kurzer Abschnitt, in dem die von uns erdachten Wege durch die bereitgestellte Sammlung von Unterrichtsvorschlägen skizziert werden. Die in der dort gezeigten Matrix angeführten Einheiten und Module sind derzeit ausgearbeitet. Doch Informatik erLeben ist ein lebendes Projekt. Im Laufe der Zeit werden weitere Einheiten ergänzt und es würde uns sehr freuen, wenn Sie Ihre Erfahrungen mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Einheiten und die daraus resultierenden Verbesserungsvorschläge nicht nur in das MOODLE-System und damit in die Community der Nutzerinnen und Nutzer einbringen würden, sondern auch selbst weitere Einheiten, die gegebenenfalls auch zu einer Erweiterung der Matrix führen werden, einbringen.

EINE SEHR GUTE LÖSUNG
ENTSTEHT OFT AUS DEM BEWERTENDEN VERGLEICH ZWEIER GUTER LÖSUNGEN!
1 Der Begriff computer unplugged wurde von Tim Bell, Ian Witten und Mike Fellows Büchlein „Computer Science Unplugged“ übernommen. Er stellt in seinem für Unterrichtszwecke frei vom Internet download-baren Büchlein 12 Einheiten vor, in denen Informatikinhalte ohne Verwendung des Computers bereits Kindern frühen Volksschulalter in spielerischer Form erklärt werden können. (siehe http://csunplugged.org)