Home

Vom Faustkeil zum PC
Facetten von Technik, Informatik und Gesellschaft

Leben mit Technik
Warum sollten wir uns mit Technik den überhaupt beschäftigen? Sie ist doch ohnehin hier! Und so wie sie uns manchmal entgegen tritt, ist sie reichlich unsympathisch. Brachte sie uns nicht sauren Regen, überdüngte Böden und viele Verkehrstote? Sollten wir Technik nicht eher zurückschrauben und sollten wir damit nicht auch der Informatik eher skeptisch gegenüber treten?

Fragen wie obige sind alt, werden immer wieder gestellt und sollen auch immer wieder gestellt und aufs Neue beantwortet werden. Freilich, um eine gute und faire Antwort zu geben, müssen wir den Gegenstand über den wir urteilen einmal ein wenig verstehen. Beim Gegenstand Technik werden wir dabei sehr rasch sehen, dass man diesbezüglich bald zu einem ambivalenten Verhältnis kommt. War nicht schon der steinzeitliche Faustkeil ein wichtiges Instrument zur Nahrungsbeschaffung und gleichzeitig eine Waffe?

Ich möchte nicht so weit zurückblicken, obzwar selbst das Beispiel des Faustkeils zeigt, dass es stets auf uns, auf den Menschen und seine Entscheidung ankommt, wie Technik eingesetzt wird. Aus Schwertern lassen sich Pflugscharen machen und Sensen können zu Bauernhellebarden werden. Wir wollen daher den Blick auf Technik mit der Reflexion einer sozialen Entwicklung beginnen. Dies deshalb, weil moderne Technik nur im Wechselspiel mit wirtschaftlicher Entwicklung zur Entfaltung kommen kann.

Als Anfang dessen, wozu sich unsere moderne Wirtschaft entwickelte, stand die Arbeitsteilung und damit eigentlich das Entstehen der Differenzierung von Bauern, Handwerkern und Händlern sowie der räumlichen Gruppierung von Handwerkern um Handelsplätze, wirtschaftsgeschichtlich also dem Entstehen von Städten, dem Konzept der Polis.

Um Handel zu treiben, bedurfte es eines Netzwerks von Wegen. Diese Wege mussten gesichert sein und diese Wege waren nicht nur für Händler wichtig. Wir sehen somit eine enge Verbindung zwischen dem Ausbau von Wegen für zivile und militärische Zwecke. Dabei war der Weg selbst, später die Straße, eher nachrangig gegenüber den Herbergen, die in Tagreise-Abstand größere Reisen ermöglichten. Sobald wir an den Übergang von zu-Fuß-Reisenden an Reiter, Lasttier-Trecks (Säumer, Karawanen) und letztlich Postkutschen denken, wird der technische Aufwand insofern größer, als es nicht nur einer Herberge für Menschen sondern auch der Möglichkeit des Wechsels der Pferde oder ganzer Karawansereien bedurfte. Sie mögen nun einwenden, dass Pferde und Kamele doch keine technischen Artefakte sind. Natürlich nicht! Allerdings müssen wir die Infrastruktur, die Straßen und Brücken und eben nicht zuletzt die Herberge, Poststation oder Karawanserei als sozio-technisches Artefakt klassifizieren. Sozio-technisch deshalb, weil es auch hier um ein Zusammenwirken von Menschen (Wirt, Gast) und Technik (Gebäude, Stall) ging. Doch viel entscheidender ist, dass wir erkennen, dass hinter dem Funktionieren früher Verkehrsnetzwerke eine bedeutende organisatorische Leistung stand. Ob diese Organisation eine verteilte Organisation (autonome Wirte, die sich selbst um ihre Vorratshaltung kümmern mussten) oder eine wenigstens in Teilbereichen zentral gesteuerte Organisation (etwa das Netz von Post-Stationen) handelt, ist vorerst nebensächlich. Wir werden diesem Dualismus zwischen verteilter und zentraler Organisation allerdings in modernen Informationsnetzen wieder begegnen.

Verlassen wir die Zeit der Postkutsche und blicken auf moderne Verkehrsnetze, tritt uns bei der Bahn die Dominanz der Infrastruktur und die nationale, zentralistische Monopolstruktur entgegen. Im Straßenverkehr mit dem Automobil, das freilich eines ausreichenden Tankstellennetzes als Ersatz für die Pferdwechsel-Stationen mit Futter und Wasser bedarf, begegnet uns demgegenüber ein verteiltes System. Blicken wir auf das Automobil, wird auch die Verknüpfung von Technik und Wirtschaft augenscheinlich. Durch Fließband und Fließfertigung, verbunden mit Produktpolitik [1] wurde eine breite Mobilisierung ermöglicht und die Automobilindustrie wurde, wie wir nicht zuletzt im aktuellen Konjunkturabschwung schmerzlich sehen, zu einem wichtigen Motor entwickelter nationaler Volkswirtschaften. Doch auch hier sollten wir über den finanzwirtschaftlichen Aspekt hinausblicken. Während Marcus oder Daimler mit ihren jeweils ersten motorbetriebenen Fahrzeugen bedenkenlos die Abgase in die freie Ressource Luft entlassen konnten, führt das massenhafte Auftreten von Autos in Städten zu massiver Umwelt- und Gesundheitsbelastung und die Motorisierung (und Industrialisierung) weltweit sogar zu Klimaveränderungen.

Noch ein Phänomen wollen wir anhand des Verkehrs betrachten: Die Welt wird kleiner. Das Mittelmeer ist ein alter, von Schiffen befahrener Verkehrsraum. Gute Ankerplätze entwickelten sich zu Häfen, zu Handelsplätzen und damit zu in wechselnder Geschichte blühenden Küstenstädten. Doch die klassische Fahrt zur See dauert relativ lang, ist abhängig von guten Winden (oder von Rudersklaven, die man in Kriegszügen gefangen nahm). Als Beleg für die Fährnisse der Seefahrt können wir das Faktum nennen, dass die Fahrten der Wikinger nach Nordamerika wieder der Vergessenheit anheim fielen und Columbus mithin die Chance hatte, den Kontinent neu zu entdecken (auch wenn er ursprünglich meinte, nach Indien gesegelt zu sein und somit eine Alternative für die noch mühsameren Karawanenstraßen gefunden zu haben). Heute bewegen sich Fernreisende mit dem Flugzeug und ein Ticket von Wien nach New York ist, wenn man einen günstigen Tarif findet, billiger als ein Ticket von Klagenfurt nach Wien. Die Flugzeiten sind ebenfalls erträglich und so wirbt die Fremdenverkehrsbranche mit Schnäppchenflügen zu einem Einkaufswochenende in London, Rom, Boston oder New York oder zu einem Kurzbesuch des Carnevals in Rio.

Wieder stellt sich die Frage, wie dieses durch Verkehr ermöglichte Zusammenwachsen der Welt zu bewerten ist. Sie bietet uns die Chance für Amüsement wie für weltweiten direkten wissenschaftlichen Austausch. Sie bietet uns billige Bananen und 12 Monate lang frische Weintrauben. Sie bietet uns auch billige, in Niedrigstlohnländern gefertigte und mit geringen Transportkosten belastete Kleidung. Doch wir bezahlen dies durch Verlagerung von Arbeitsplätzen in solche Billiglohnländer mit geringen sozialen und umweltkonservierenden Standards, wir bezahlen es inzwischen auch durch eine Zunahme an Umweltbelastung, die wir nur teilweise, etwa auf der Transitstrecke durch das Inntal, wahrnehmen und durch steigende Treibstoffpreise für die knappe Ressource Erdöl. Wer ist schuld am Schadstoffausstoß der Verkehrsmittel? Das Fahrzeug selbst wohl kaum. Sein Lenker auch nicht wirklich. Die Technik, die bei einigen der Fahrzeuge veraltet ist? Die Technik, die sich nicht rasch genug weiterentwickelt hat, um schadstoffärmere und verbrauchseffizientere Fahrzeuge zu entwickeln? Oder die Technik, die überhaupt einmal sich unterstanden hat, motorbetriebene Fahrzeuge zu entwickeln? – Wie sieht es da mit uns aus, die wir im Urlaub weit weg fliegen, gern billige Bananen essen und rasch und elegant im klimatisierten Auto einmal da und einmal dorthin fahren wollen?

Bevor wir uns in Schuldzuweisungen verheddern, möchte ich noch einen Blick auf unsere Nahrung werfen. Ohne Justus Liebigs Erfindung des Kunstdüngers könnte sich Europa schon lange nicht mehr ernähren. Technik ist also nicht nur Verkehrsmittel und Maschinen sondern auch Chemie. Wir dürfen Düngung und somit Chemie in der Landwirtschaft also als überlebensnotwendigen Segen auffassen. Doch wieder ist die Beurteilung nicht so einfach und sie kann auch nicht so einfach auf genverändertes Saatgut übertragen werden. Neben positiven Wirkungen gibt es Nebenwirkungen, die im Fall der Überdüngung von Böden bekannt sind, die im Fall des Einsatzes von Pestiziden teilweise bekannt sind (Artensterben) und die in Fall von genveränderten Nahrungsmitteln auf Tier, Mensch und andere Arten (Samenübertragung) noch weitestgehend unbekannt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rahmenbedingungen, unter denen Landwirtschaft stattfindet, bedingt durch topographische und geologische, aber auch durch soziale Verhältnisse regional sehr unterschiedlich sind.

Als Menschen der mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts fällt es uns demgegenüber schon weit leichter, die Entwicklungen des Maschinenbaus und die damit einhergehende industrielle Revolution aus heutiger Sicht positiv zu bewerten. Menschliche und tierische Arbeitskraft wurde durch (im Wesentlichen thermische) Energie ersetzt (Dampfmaschine) und über ein Spektrum von Mechanismen zu den die Arbeit letztlich (mit-) ausführenden Maschinen geleitet. Dabei dürfen wir freilich nicht vergessen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem diese technischen Umwälzungen stattfanden, sich sowohl die Masse der (verarmten) Arbeiterschaft, als auch das soziale Proletariat und die Anhäufung von Produktionsmitteln (Kapital) in den Händen weniger bildete. Es bedurfte sozialer Bewegungen, um letztlich die heute in Mittel- und Westeuropa gültigen sozialen Standards zu erreichen, die freilich noch lange nicht weltweit gegeben sind. Nimmt man gegenüber der industriellen Revolution eine zu technophobe Stellung ein, bedarf es keiner besonderer Spekulationen wie die Welt ausgesehen haben würde. Das Gegenmodell existierte klar in der nord- wie südamerikanischen Landwirtschaft, in der Sklaven jene Tätigkeiten verrichteten, die dort heute von Maschinen verrichtet werden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Import schwarzafrikanischer Sklaven in den „neuen Kontinent“ ursprünglich mit sozialen Überlegungen [2] begründet wurde.

Weitere technische Meilensteine, wie die Erfindung von Dynamit und die Entdeckung von Elektrizität sowie ihre technische Nutzbarmachung möchte ich hier überspringen und direkt zu Informationstechnologie überleiten, die in ihrer heutigen Ausprägung selbstverständlich fundamental auf dem Verständnis von Elektrizität und Magnetismus beruht.

Wir stecken vielleicht noch zu sehr in der Zeit, in der elektronische Informationsverarbeitung und Informationsübertragung erfunden wurde, um über die Effekte der zugrunde liegenden Entdeckungen, Erfindungen und Innovationen ein finales Urteil abgeben zu können. Dass elektronische Informationsverarbeitung, und damit Informatik, zu radikalen sozio-technischen Umwälzungen den Anstoß gegeben hat, ist offensichtlich. Ebenso ist offensichtlich, dass dies nicht nur zu positiven Effekten führte.

Bestand ursprünglich noch die Angst, dass die „Mechanisierung geistiger Arbeit“ durch den Computer so wie einst die Mechanisierung physischer Arbeit durch Maschinen zu massiven Freisetzungen am Arbeitsmarkt führen würde, können wir heute feststellen, dass dies wenigstens in entwickelten Volkswirtschaften nicht der Fall war. Es gab und gibt zwar sektorale Umschichtungen, in der Regel kam es jedoch nur zu Verschiebungen am Arbeitsmarkt bis hin zum Verschwinden gewisser Branchen, aber nicht zu echten Einbrüchen. Auch die Phantasien der individuellen Freiheit durch allgegenwärtige Heimarbeit und die damit verbundenen positiven Effekte, wie die bessere Verknüpfbarkeit von familiären und beruflichen Aufgaben, erfüllten sich bestenfalls teilweise und nur in wenigen Branchen. Die darauf aufbauenden Sekundäreffekte, wie Rückgang der großen städtischen Agglomerationen und Rückgang der Umweltbelastung durch Personen, die in diese Riesenstädte täglich ein- und auspendeln fanden nicht statt. Im Gegenteil, die Städte wachsen ungebremst weiter.

Was sicherlich stattfand ist eine Beschleunigung der Zeit. Als Beispiel nenne ich einen Brief, gleichviel ob privat oder geschäftlich. Es dauerte, bis dieser konzipiert, reingeschrieben, zur Post gebracht, von dieser transportiert und letztlich ausgetragen und dann vom Eingangspost-Stapel genommen, geöffnet, gelesen und letztlich beantwortet wurde. Bis diese Antwort beim Schreiber des ersten Briefes einlangte dauerte es nochmals diese Zeitspanne. Heute sendet man demgegenüber ein E-Mail. Dieses landet nach wenigen Sekunden in der Mailbox des Empfängers, gleichviel ob dies eine Kollegin im Büro nebenan oder eine in Shanghai ist. Wenn dann die Antwort nach der Mittagspause noch immer nicht hier ist, wird man schon unwirsch, greift zum Handy oder sendet allenfalls ein zweites Mail, in dem man sich erkundigt, ob das ursprüngliche wohl angekommen sei.

Wieder ist es nicht die Technik, die uns treibt. Wir sind es, die uns an Handys ketten und von E-Mails treiben lassen. Man erkennt mithin, dass Technik an sich instrumentellen Charakter hat. Wie jedes andere Instrument auch, lässt sie sich nutzbringend einsetzen. Es ist nicht zu verleugnen, dass wir den heutigen Entwicklungsstand der Industrieländer dem Entwicklungsstand der Technik verdanken, wie auch leicht zu erkennen ist, dass wir unseren aktuellen relativen Wohlstand nur durch weiteren technischen Fortschritt absichern werden können. Andererseits erkennt man, dass Technik, ebenso wie jedes andere Instrument auch, missverwendet werden kann. Der durch technischen Fortschritt erzielbare Nutzen ist also risikobehaftet. Um dieses Risiko abschätzen zu können, hilft nicht Angst sondern hilft nur Verständnis über die Leistungsfähigkeit sowie über die Grenzen und Gefahren bestimmter technischer Entwicklungen und auch Verständnis über die Interessen, die diese Entwicklungen vorantreiben.


Informatik als technische Disziplin
Der Begriff Informatik ist ein Kunstwort, das aus der Verschmelzung der Begriffe Information und Automation (Automatik) entstand. Informatik ist mithin die Lehre von der automatischen Verarbeitung von Information. Da die klassische informationsverarbeitende Maschine der Computer ist, wird das Fach Informatik in den englischsprachigen Teilen der Welt vorwiegend als Computer Science bezeichnet. Entwicklungsgeschichtlich hat die Informatik ihre Wurzeln in der Mathematik, in der Elektrotechnik und in der Physik. Bei Angewandter Informatik gehört zum Rüstzeug von Informatikern allerdings auch noch ein grundsätzliches Verständnis über psycho-soziale Zusammenhänge, über wirtschaftliche Zusammenhänge und über die Grundlagen des jeweiligen Anwendungsgebiets.

Aus heutiger Sicht wäre es allerdings zu kurz gegriffen, bei Informatik nur auf den einzelnen Computer, bestehend aus Hard- und Software, zu fokussieren. Informatiksysteme bestehen heute in der Regel aus dem Zusammenschluss mehrerer Computer zu Rechnernetzen. Die Kooperation der einzelnen Computer in diesen Netzen, also die Art, wie sie Daten austauschen und sich gegebenenfalls auch unterschiedliche Teilaufgaben zuweisen, wird durch Protokolle geregelt. Somit bestehen Rechnernetze, und das in der öffentlichen Diskussion immer wieder erwähnte Internet ist ein solches, im wesentlichen aus Computern und Datenleitungen (Hardware), Organisationsvorschriften (Protokolle) und Software, die ein protokollkonformes Verhalten der einzelnen Rechner (auch als Netzknoten bezeichnet) sichert. Allerdings sollten wir uns dessen bewusst sein, dass auch im normalen betrieblichen Einsatz von Informatiksystemen Organisationsvorschriften eine wesentliche Rolle spielen. Dies insbesondere an der Schnittstelle zwischen automatischer und manueller (menschlicher) Informationsverarbeitung. Wenn Informatikerinnen und Informatiker Systeme entwickeln, gilt es daher stets nicht nur die Maschine im Auge zu haben, sondern vielmehr den Blick auf die Menschen und auf physische Prozesse, die auf der Informationsebene abgebildet werden sollen, zu halten.

Informatikerinnen und Informatiker sind mithin Ingenieure, die ausgehend von ihrem technischen (formalwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen) Wissen bemüht sind, effiziente und wirtschaftlich sinnvolle, auf Informationsverarbeitung beruhende Lösungen zum Nutzen der Gesellschaft zu entwickeln.


Warum sollten wir ein wenig von Informatik verstehen?
Wir sollten von Informatik aus zwei Gründen ein wenig verstehen. Einerseits treten uns informationsverarbeitende Systeme und Geräte in vielen Bereichen unseres Lebens gegenüber und wissen zu wollen, wie diese im Prinzip funktionieren ist nicht nur eine Frage der Neugierde. Insbesondere wenn sich diese Systeme nicht so verhalten, wie wir es erwarten, ist es hilfreich zu verstehen, warum dies der Fall sein könnte. Darüber hinaus haben wir gesehen, dass Technik – und somit auch Informationstechnik und Informatik – nicht nur Nutzen stiftet sondern auch Gefahren birgt. Wieder können wir diese Gefahren nur dann angemessen einschätzen und ein Verhalten entwickeln, das diese Gefahren minimiert, wenn wir wenigstens die Grundprinzipien, auf denen informationsverarbeitende Systeme beruhen, kennen.

Der zweite Grund, sich mit Informatik auseinanderzusetzen, sind die Inhalte, die dieses Wissenschaftsgebiet entwickelt hat. Wir können uns in unserer Umwelt nur zurechtfinden, indem wir durch unsere Sinnesorgane Information aufnehmen und durch unser Verhalten (Sprechen, Gestik, Handlungen, ...) wieder Information an die Umwelt abgeben. Somit ist jeder Mensch, jedes Tier, jede Familie, jeder Freundeskreis und jedes sonstige soziale Aggregat eine mächtige informationsverarbeitende Einheit. Jede Tätigkeit, die wir ausführen, lässt sich in Teilschritte zerlegen, lässt sich beschreiben und lässt sich planen und jede von einer Gruppe von Personen ausgeführte Tätigkeit beruht auf Kooperation und damit auch auf Kommunikation (also Informationsaustausch). Dies war immer schon so und es bedurfte nicht des Computers oder der Informatik, dies zu erkennen. Mit der Informationsverarbeitung eines einzelnen Menschen beschäftigt sich die Psychologie und die Neurologie, mit jener von Gruppen die Soziologie. Allerdings sind diese – übrigens ebenfalls relativ jungen – Wissenschaften analytisch und nicht konstruktiv wie die Informatik. All die Verfahren die im und zwischen Menschen ablaufen, gehen davon aus, dass Menschen anpassungsfähige intelligente Wesen sind, die sehr gut in der Lage sind, Lücken oder auch Fehler in Beschreibungen sinnvoll auszugleichen.[3] Der Computer, eine Maschine, kann das nicht. Hier müssen Anweisungen (Programme) bis ins letzte Detail korrekt sein. Da wir Menschen jedoch bei all unseren Handlungen, also auch beim Programmieren, gelegentlich Fehler machen, hat die Informatik Sprachen und Verfahren entwickelt, die es erlauben große Informationssysteme (Systeme von Programmen mit mehreren Tausend, ja mehreren Millionen Anweisungen) modular zu beschreiben und modular zu entwickeln. Dies ermöglicht unter anderem auch, schon lange bevor die erste Zeile Programmcode geschrieben wurde, zu prüfen, ob die Entwürfe, nach denen programmiert werden soll, widerspruchsfrei und auch sonst korrekt sind. Würde man solche Verfahren etwa auch vor dem Erlassen von Verordnungen oder im Gesetzwerdungsprozess einsetzen, könnten sich Staatsbürger viel Ärger und der Staat viel Geld ersparen.


Schulinformatik
Schulinformatik, also das Fach Informatik aus der Sicht der Schule hat in Österreich, wie in den meisten anderen europäischen Staaten, eine etwa zwanzigjährige Entwicklung hinter sich. Es sollte nicht erstaunen, dass das Fach innerhalb dieser Zeit einem kräftigen Wandel unterworfen war.

Der Startzeitpunkt lag knapp hinter der Markteinführung von Personal Computern (PCs). Diese technische Invention war aus ökonomischen Gründen Voraussetzung. Erst ab diesem Zeitpunkt war es für Schulen leistbar, sich einen Computer anzuschaffen. Daher auch der relative Gleichklang der Einführung in Europa.[4] Die damals verantwortlichen Bildungspolitiker wollten die Jugend durch die Vermittlung einfacher Programmierfertigkeiten auf die Herausforderung des am Horizont erscheinenden Informationszeitalters vorbereiten.

War der PC vor zwanzig Jahren noch ein Gerät für kommerziellen Einsatz, entdeckte die Industrie inzwischen auch private Haushalte als Markt. Damit ließen sich die Umsatzzahlen deutlich erhöhen und somit auch der Preis in einen für Private erschwinglichen Bereich drücken. Weiters entwickelte der zusehends zum Monopolisten für PC-Betriebssysteme gewordene Konzern Microsoft mit seiner Office-Suite eine Produktpalette, die die Anschaffung eines PCs auch losgelöst von betrieblichen Anwendungen sinnvoll erscheinen ließ. Schließlich verschaffte das Internet sowohl als weltweite Informationsressource (World Wide Web) wie auch als weltweite Kommunikationsinfrastruktur (E-Mail) ein für privaten PC-Einsatz sinnvolles Anwendungsspektrum. In einer jüngst veröffentlichten Studie [5] wurde erhoben, dass 97 % der Kärntner Schülerinnen und Schüler zu Hause Zugang zu einem PC haben.

Für die Schule brachte dies neue Herausforderungen. Lehrpläne wurden dahingehend geändert, dass im Informatikunterricht auch jene Anwendungsaspekte unterrichtet werden sollen, die für den privaten wie betrieblichen Einsatz von Computern eine wesentliche Rolle spielen. Da es für diese Anwendungsaspekte darüber hinaus auch gut beworbene, auf europäischer Ebene definierte (außerschulische) Zertifikate gibt (ECDL – European Computer Driving Licence), ist es nicht verwunderlich, dass große Teile des Informatikunterrichts sich der Vermittlung der im Rahmen der ECDL-Prüfung abgeprüften Fertigkeiten widmet.

Ein gänzlich anderer Aspekt, der eigentlich mit Informatikunterricht nichts zu tun hat, der aber, weil der Computer ebenfalls eine essentielle Rolle spielt, organisatorisch in die Nähe des Informatikunterrichts gerückt wird, ist E-Learning. Hierbei handelt es sich um den Einsatz des Computers in vielfältigster Form zur Unterstützung des normalen Fachunterrichts. Das Spektrum reicht dabei von Aufgabenstellungen, die Abfragen im World Wide Web erfordern über Vokabeltrainer oder E-Mail-Verkehr mit Partnerschulen im Fremdsprachunterricht und Simulationssoftware in naturwissenschaftlichen Fächern bis hin zu eigenen Postings von multimedial aufbereiteten Projektarbeiten im Web.

Betrachtet man diese Entwicklung aus Distanz müsste man wohl feststellen, dass Schulinformatik von den hehren Bildungszielen der Achtzigerjahre sich zu einer Schulcomputerei entwickelte. Der Computer spielt inzwischen eine weit stärkere Rolle als damals, die Informatik ist jedoch verschwunden.[6] Dass dem so ist, kann durchaus auch aus der Semantik des ECDL als „computer driving license“ abgeleitet werden. Natürlich lernt man auch hier ein wenig über die Grundprinzipien des Computers, eines Betriebssystems und der Dateiorganisation, wie man ja auch in der Fahrschule ein wenig über Motor und Bremsen eines Kraftfahrzeugs lernt. Doch im Wesentlichen ist dies ein Fahrkurs für das Vehikel „Computer“. Dieser Computer-Fahrkurs wird zwar in der Schule „Informatik“ genannt, er hat aber mit dem Fach Informatik ebenso wenig zu tun, wie die Führerscheinvorbereitung mit dem technischen Fach Maschinenbau.

Am grundsätzlichen Wert einer derartigen anwendungsoftware-orientierten Ausbildung soll gegenwärtig nicht gezweifelt werden. Es sollte jedoch vermieden werden, dass Schülerinnen und Schüler vom Fach Informatik erwarten, dass man dort halt die nächsten 1000 Befehle (oder noch mehr davon) lernt. Die in Informatik erLeben ausgearbeiteten Lehreinheiten wollen dieses falsche Bild wenigstens punktuell korrigieren.
1 Henry Ford wird die Aussage zugeschrieben: „Jeder soll sich sein Auto leisten können, solange es eben ein Ford T ist und dieser schwarz ist.“
2 Der Indianermissionar Bartolomé de Las Casas, Bischof von Chiapas, setzte sich für die Entlastung indianischer Landarbeiter durch Einfuhr von Sklaven aus Schwarzafrika ein. „Diese Menschen sind aufgrund ihrer starken physischen Konstitution eher geeignet, die schwierige Landarbeit zu erledigen, denn die vergleichs¬weise schwache indogene Bevölkerung“.
3 Dies klappt selbstverständlich nur innerhalb bestimmter Grenzen. Doch wie wichtig diese menschliche Fähigkeit ist, zeigt sich etwa darin, dass „Dienst nach Vorschrift“ eine Form des Streiks ist.
4 Formen des frühen Informatikunterrichts, wie etwa in Litauen, wo Programmieraufgaben in Zeitungen veröffentlicht wurden und die Lernbegierigen dann ihre schriftlichen Lösungen an ein universitäres Institut schicken durften, um sie korrigiert zurückzubekommen, dürfen als kreative Ansätze, den Bildungswert der Informatik zu erzielen ohne auf teure Hardware zurückzugreifen, erwähnt werden. (Vgl.: Dagys V., Dagiene V., Grigas G.: Teaching Algorithms and Programming by Distance: Quarter Century’s Activity in Lithuania; in: Dagiene V., Mittermeir R. (eds): Information Technologies at School, Proc. ISSEP 2006, Part 2, TEV, 2006, pp 402 – 412.)
5 Micheuz P., Zederbauer S.: Dissemination von E-Learning an den AHS Kärntens; Projektbericht, IMST-Fonds, Klagenfurt, Juli 2008
6 vgl. M. A. C. Clark and R. D. Boyle: Computer Science in English High Schools: We lost the S, Now the C is Going; in: Mittermeir R. T.: Informatics Education – The Bridge between Using and Understanding Computers, Proc. ISSEP 2006, LNCS 4226, Springer-Verlag, 2006, pp. 83 - 93